Abstract (deu)
Ich meide es, mich auf diversen Datingplattformen anzumelden, da in den fast 2 1/2 Jahren monogamer hetero Beziehung mindestens drei neue auf den Markt gekommen sind, deren Existenz ich alle nur passiv durch gelegentliches Zusenden etwaiger Screenshots potenzieller Datingpersonen (okay, es waren nur männer) von meiner Freundin mitbekommen habe. Diese versendeten Screenshots hatten meist nur zwei Funktionen: Entweder es war ein boah-schau-mal-wie-hot/süß/whatever der aussieht oder boah-der-hat-sicher-diverse-undiagnostizierte-psychische-Erkrankungen-darunter-mit-ziemlicher-Sicherheit-ADHS. Also was diesen Bereich angeht, hang ich etwas hinterher. Tinder, das jeder und auch ich früher viel und gerne genutzt hatten, ist anscheinend out, und da ich auch kein schwuler mann bin, wusste ich nicht mehr genau was jetzt so als bessere Alternative am Markt war. Anne Schmidt: »Ich habe alle Dating-Apps heruntergeladen. Fleed funktioniert nicht, Hinge schon gar nicht, OkCupid geht eh nie, Tinder geht. Wir haben in unseren Betten rumgekugelt, zwei für drei Personen, waren horny, keine Person auf Tinder war queer, schon gar nicht lesbisch. Wir haben uns lachend Schwänze schicken lassen, sie verglichen. Ich bin total hetero geworden damit ich gewinne.«
Okay, dann ist Tinder jetzt fix die unausgesprochene hetero-Plattform. Ich lads mir herunter, logge mich ein in mein Profil von vor zwei Jahren und scrolle durch Hunderte von Matches und unbeantworteten Nachrichten von und mit fast ausschließlich männer. Ich schaue mir meine alten Profilfotos an, sehr melodramatisch, und in meiner Beschreibung stand irgendwas von Kunstuni und Café Meier. Ich suche nach zwei, drei spezifischen Personen die ich mal getroffen habe und die mir in Erinnerung geblieben sind, aber anders als ich, haben diese Personen, anscheinend schon anderweitig emotionale Befriedigung erfahren und sind mit ihren Online-Profilen nicht mehr länger vertreten. Schade, denk ich mir, speziell bei einem, den ich mal auf Erasmus kennengelernt hatte und von dem ich keinen weiteren Kontakt besaß. Ich lösche mein Profil und die App.
Aber kein Wunder, dass mich Online-Dating heutzutage eher weniger freut: Ole Liebl beschreibt in seinem Buch Freunde lieben anhand von zahlreichen Studien und Datenerhebungen unterschiedliches Datingverhalten aufgrund von Geschlecht. Gleich zu Beginn stellt er allerdings auch klar, dass Menschen sich bei den meisten Plattformen entweder als mann oder als Frau ausgeben müssen. Das repräsentiert natürlich ein starres, binäres Geschlechtersystem und ist wahrscheinlich mitunter auch Grund, weniger queere Personen in Dating-Apps zu finden. Ole Liebl schlüsselt die stärksten Unterschiede des Datingverhaltens von männer und Frauen anhand von OkCupid auf:
»Für Frauen waren die attraktivsten Männer stets ungefähr in ihrem Alter. In ihren 20ern sollten die schönsten Männer ein bis drei Jahre älter als die Frauen sein, ab Mitte 30 wären etwas jüngere Männer das Ideal. Ab Ende 40 steigt das beste Alter wieder an und nähert sich der Gleichaltrigkeit. Nichts von dieser Dynamik ist auch nur annähernd bei Männern zu finden. Durch alle Altersgruppen hinweg werden Frauen zwischen 21 und 23 Jahren als am attraktivsten eingestuft. Einziger ›Ausreißer‹ sind die 45-jährigen Männer, bei denen die 24-jährigen Frauen auf Platz eins stehen.« Ich bin jetzt 24. Also wenn man annimmt, dass die Datenerhebung von OkCupid generalisiert werden kann, bin ich jetzt gerade für 45-jährige männer am attraktivsten. Mein Vater ist 49.